1631 wird die Stadt Magdeburg von den Truppen der Kaiserlichen Liga unter Feldmarschall Tilly erobert und weitgehend zerstört, aber der Flächenbrand erreicht den Dom nicht. Als 1632 die schwedischen Truppen nahten, plünderten die Kaiserlichen unter Pappenhaeim die verschonten Teile der Stadt und zerstörten die Festungsanlagen; Brandt 1863 berichtet, dass die Soldaten die metallenen Orgelpfeifen mitnahmen, und mutmaßt, dass sie “einer großen Reparatur bedurft haben” muss, von der aber nichts bekannt ist. 1666 erfolgt eine Ausreinigung und Reparatur beider Orgeln durch Johann Christoph Decker aus Quedlinburg.

Da die Compenius-Orgel aber noch sehr in der Vergangenheit verwurzelt war, war ihr Klangbild und Anlage den Organisten inzwischen etwas unsympathatisch. Jacob Hasse, Domorganist 1677 - 1714, hatte als Sachverständiger an mehreren Projekten in der Stadt mit Arp Schnitger zusammen gearbeitet, und bat den großen Meister um einen Kostenanschlag, den er mit Datum 1. August 1699 einreichte:  

Schnitgers Vorschlag wurde nicht angenommen. Erst 70 Jahre später, 1769 - 1772, während der Amtzeit Burgmüllers, wird Christoph Treutmann der Jüngere einen größeren Umbau durchführen. In seinem bericht wiederholte er einige von Schnitgers Anmerkungen (zB, dass die Ventile nicht genügend Aufgang hatten) und fügte hinzu

In der “Beschreibung der vorzüglichen Merckwürdigkeiten und Kunstsachen der Stadt Magdeburg” des Jahres 1786 schreibt  August Christoph Meinecke :

Es folgt die Disposition. Wenn die Überlieferung so richtig ist, hat die Orgel nun eine 32’ Posaune (eine Besonderheit der Treutmann Familie), aber keine Zunge zu 16’ im Pedal.

Wenige Jahre später, 1806 - 1814, besetzen Napoleons Truppen die Stadt und der Dom wird als Lager und Stall benutzt, sicherlich nicht zum Vorteil des Domes oder der Orgeln. Preussenkönig beauftragte daraufhin ab 1826 eine umfassende Restorierung des Raumes unter Karl Friedrich Schinkel, eine Arbeit, die schwerwiegende Änderungen mit sich brachten, unter anderen auch die Beseitigung der Wandbemahlung überall außer in der Ernstkapelle. Die Lettnerorgel wurde entfernt, zusammen, vermutlich, mit dem gesamten “Schülerchor”; künftig sollte der Chor vor der Hauptorgel auf der Westempore Platz finden. Dazu war ein erneute Umbau der Orgel unter Verzicht auf dem Rückpositiv nötig. Die barocke Fassade wurde abgebaut und im Turm gelagert, wo sie 1945 entdeckt und verheizt wurde. Einzig der goldene Hahn und eventuell eine weitere hölzerne Figur, derer Provenienz nicht eindeutig geklärt wurde,  verblieben als Erinnerung an diesen herrlichen Prospekt.

Die neue Fassade “im gothischen Stile”, entworfen von dem Tischlermeister Schumann und von Schinkel abgesegnet, sah folgendermaßen aus:

Gehäuse

Wie die Disposition dieser Orgel nun war, lässt sich nicht klären. Die Arbeit wurde verrichtet von Theodor Hamann, Sohn des ehemaligen “Domkapitularische Orgelbauers” Johann David Hamann, der 1807 die neue Chororgel gebaut hatte .

Die Ernennung August Gottfried Ritters (1811-1885) zum Domorganisten im Jahre 1847 machte Magdeburg zu einem Zentrum des Geschehens in der Orgelwelt. Ritter, der in Erfurt geboren wurde und Domorganist in Merseburg war, bevor er nach Magdeburg kam, war nicht nur einer der bekanntesten Orgelvirtuosen seiner Zeit sondern auch ein angesehener Komponist und Improvisator,  zugleich "Königlich-Preussischer Orgelrevisor" (zu jener Zeit war Magdeburg Hauptstadt der preußischen Provinz Sachsen). Liszt, der ihn gut kannte, verehrte ihn sehr. Unter solchen Umständen war es kein Wunder, daß bald Pläne für ein neues Instrument unter Verwendung des Gehäuses von 1830, das im neogotischen Sinne umgebaut wurde, aufkamen.

August Gottfried Ritter (1811-1885)

Der Orgelbauer, der für dieses Projekt auserwählt wurde, war Adolph Reubke, Vater des Komponisten Julius Reubke (ein Mitglied von Franz Liszts "Weimarer Kreis"), dessen Werkstatt in Hausneindorf im Harz in ca. 60 Kilometer Entfernung lag. Zwischen 1856 und 1861 plante und baute er ein viermanualiges Instrument mit 81 Registern. Ein weiteres, fünftes Manualwerk, ohne eigene Klaviatur und vom dritten Manual aus spielbar, kam später hinzu. Reubke übernahm das Gehäuse von 1830, baute es aber um:

roever

Die Orgel besaß mechanische Trakturen mit Barker-Hebeln. Ritter liebte anscheinend dieses Instrument sehr, obwohl Palme berichtet, daß die Traktur nie wirklich gut funktionierte: "Man saß an der Orgel wie auf einem störrischen Pferd und war glücklich, ohne Unfall davon zu kommen." Der Organist saß innerhalb der Orgel hinter den Frontpfeifen mit Blick zum Altar.

Das erkennbar klassische Aufbauprinzip dieser Orgel war einem Organisten der Generation Ritters noch annehmbar, sogar wünschenswert. Aber selbst zeit seines Lebens fand Ritter sich gezwungen, viele Kämpfe mit Orgelbauern zu führen, die nicht willens waren, die repetierenden Mixturen zu bauen, auf die er immer noch bestand.

Theophil Forchhammer

Der Amtsantritt Theophil Forchhammers als Nachfolger Ritters  im Jahre 1886 schuf neue Voraussetzungen. Forchhammers Vorstellungen vom guten zeitgenössischen Orgelbau waren von denen Ritters grundverschieden. 1906 war Forchhammer in der Lage, eine völlig neue Orgel bei Ernst Röver, der die Werkstatt Reubkes in Hausneindorf übernommen hatte, in Auftrag zu geben.

Die Orgel Rövers umfaßte zwar nur drei Manuale, aber genau 100 Register. Palme lobte die schnelle präzise pneumatische Traktur (dank des genialen Röverschen Kastenladens) und schrieb: "Die Majestät des Vollen Werkes, mit seinen volltönenden Bässen (einschließlich drei 32'-Registern) ist wahrlich überwältigend in seiner Kraft, Klangfülle und Erhabenheit, und füllt den immensen Raum bis in den entferntesten Winkel." Ein weiterer Eingriff in der Gehäusegestaltung geschah dabei: sie wurde 50cm höher aufgebaut und um 2m 50 nach hinter gerückt, um einen Choraufbau vor der Orgel zu erlauben.

Bereits 32 Jahre nach Vollendung der Röver-Orgel schrieb der "Reichsorgelrevisor" und Musikdirektor der Universität Erlangen, Georg Kempff (Bruder des Pianisten Wilhelm) in einem Gutachten über die Orgel, dass “diese zu nichts anderem als zum Brüllen und Flüstern fähig sei”. Seine Schlußfolgerung: da eine (gute) Orgel "ihre Kraft aus den hohen Mixturen gewinnt", bliebe nichts anderes zu tun, als dieses Instrument abzureißen und ersetzen.

BreiteWeg_DomDies erwies sich als unnötig: zwar verschonten die Bombenangriffe im Januar 1945, die 80% der Stadt zerstörten, die Westfassade des Domes und die Orgel, aber eine am 17. Februar desselben, letzten Kriegsjahres von einem Tiefflieger-Piloten offensichtlich gezielt zwischen die Türme abgeworfene Feuerbombe riß ein großes Loch in die Fassade des Domes. Die mündliche Überlieferung, nach dem diese Bombe ein direkter Treffer an der Orgel erzielte, stimmt zwar nicht: das Bild zeigt deutlich, dass nicht die Orgelempore sondern der Zimmermannsboden getroffen wurde, und das Gewölbe zwischen den Etagen wurde zerstört. Die Orgel wurde durch die tonnenschweren, herabstürzenden Gewölbeteile vollständig zerstört; an eine Reparatur war nicht zu denken. Bilder aus der Zeit zeigen eine intakte Fassade; dahinter steht aber offenbar nichts. Da der Dom aber selbst gesperrt war, und bis 1957 blieb, gab es ohnehin keine Notwendigkeit für eine Orgel dort. Der Magdeburger Orgelbauer Felix Brandt baute die Reste ab im Zuge der allgemeinen Sicherung des Domes. Frühe Pläne, das gewonnene Material zumindest zum Teil nach Potsdam zu bringen und einzuschmelzen, um es beim Neubau der Orgel im Remter zu verwenden, scheiterten daran, dass es “keine Kisten” gab; 1948 gelang es, 822 Kilo Pfeifenmetall nach Potsdam zu verschicken. Was mit dem wiederverwendbaren Material geschah, ist zur Zeit nicht bekannt.

Die große Westempore blieb danach 60 Jahre leer.

Nach der Zerstörung des Gotteshauses wurden alle Gottesdienste der Domgemeinde im Remter, dem Refectorium der alten klösterlichen Stiftung, das den Ostflügel des Klosters bildet, gehalten. Dieser Raum ist eine lange, sehr schöne aber ziemlich niedrige zweischiffige gotische Halle, die in der Mitte durch eine Reihe Marmorsäulen getrennt ist. Der Remter dient der Domgemeinde noch heute von Mitte Oktober bis Mai als Winterkirche, da der Dom selbst nicht heizbar ist.

Der Remter; die Orgel ist im Hintergrund gerade sichtbar

Gerhard Bremsteller, erster Domorganist nach dem Krieg, gelang es 1949 eine größere Orgel für diesen Raum zu erwerben, um das kleine zweimanualige, romantische Instrument von Furtwängler und Hammer, das aus der zerstörten Domschule leihweise dorthin übernommen wurde, zu ersetzen. Die Firma Schuke aus Potsdam wurde damit beauftragt, die Arbeiten durchzuführen Zu dieser Zeit arbeiteten die beiden Söhne Alexander Schukes, Hans Joachim und Karl, noch beide in der Familienfirma; für die Planung und Durchführung dieses Projektes war Karl verantwortlich.

Schuke wünschte anfangs eine relativ kleine, 22-registrige, zweimanualige Orgel mit Rückpositiv zu ebener Erde zu bauen. Dabei wollte er die Höhe des Bauwerkes direkt unter dem höchsten Punkt des Gewölbe ausnutzen, mehr oder weniger an der Stelle, von der dieses Bild aufgenommen wurde. Letzten Endes gab er aber den Wünschen Bremstellers nach und baute nach dessen Konzeption eine dreimanualige Orgel mit 29 Registern an die nördliche Stirnwand. Das hatte zur Folge, daß der interessanteste Teil der Orgelfassade (die Orgel hat kein geschlossenes Gehäuse) sich direkt hinter einer Säule befand und in der Gänze von keiner Position im Raum aus gesehen werden konnte. Weiteres Bild. Der Disposition der Orgel nach zu beurteilen müsste sie ein typisches neobarockes Instrument sein, aber die engen Labien und Kernspalten und die sehr hohen Aufschnitte der Principale verliehen dem Instrument einen Klang, der sich weit ab von dem hellem, fast spitzen Klangbild bewegte, das zu dieser Zeit herrschend war. Das ist natürlich an sich kein Nachteil, aber das Konzept war in dem Raum kein Erfolg. Bedingt, unter anderen,  durch die Schwierigkeit der Materialbeschaffung in den Nachkriegsjahren war die Orgel immer ein Sorgenkind; eine fünfte und letzte Reinigung und Instandsetzung erfuhr sie im Jahre 1992, bevor sie 1996 verstummte.

Mehr als zehn Jahren diente eine bescheidene Digitalorgel für sieben Monate des Jahres als Domorgel.Eine lange Streit mit dem Landesamt für Denkmalpflege über den künftigen Umgang mit dem Instrument, das  1988 zum Denkmal erklärt worden war, entfachte, und wurde erst mit der Genehmigung des Abbaus durch die zuständige untere Denkmalbehörde 2007 beendet. Im Juli des Jahres wurde die Orgel von den Technikern des Lampl’schen Orgelmuseums in bayerischen Valley abgebaut und dorthin gebracht. Eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte dieser Orgel und der Auseinandersetzung um ihre Zukunft ist hier zu lesen. Die Orgel ist nun in Polen wieder errichtet worden.

Nachdem die Reparaturen der Kriegsschäden am Dom 1955 mehr oder weniger vollendet waren, nahm Gerhard Bremsteller Verhandlungen zum Bau einer neuen Domorgel auf. Sein Konzept sah eine große Orgel mit elektrischer Traktur auf der Westempore, verbunden mit einer kleineren "Gegenorgel" auf dem "Bischofsgang", dem oberen Umgang des Hohen Chores, vor. Letztere sollte mechanische Traktur bekommen, aber auch elektrisch vom Spieltisch der Hauptorgel aus fast 120 Metern Entfernung spielbar sein. Angebote wurden von einer Vielzahl von Firmen, darunter auch Schuke, Jehmlich und Eule, eingeholt. Aus diesem Konzept gingen ein Anzahl von Problemen hervor, darunter diese:
- das Amt für Denkmalschutz war nicht gewillt, den Bau einer Orgel weder auf der einen noch der anderen geplanten Stelle im Dom zu genehmigen, obwohl historisch belegbar war, daß dort schon seit über 750 Jahren in der Geschichte des Domes Orgeln ihren Platz hatten.
- der damalige Orgelrevisor im Konsistorium der Kirchenprovinz Sachsen, Willi Strube, warnte aus akustischen Überlegungen gegen die Verwendung der Westempore für den Orgelbau - zu Unrecht, wie heute wieder klar wird. .
- seit der preußischen Säkularisierung im Jahre 1830 war der Dom Eigentum des Staates. Dies bedeutete, daß der Staat für die Orgeln selbst und den finanziellen Aspekten eines solchen Neubau-Projektes verantwortlich war. Selbstverständlich war die kommunistische Regierung nicht sonderlich daran interessiert, sah aber in der Tat für einige Jahre jährlich einen bestimmten Geldbetrag vor unter der Bedingung, daß das Geld innerhalb eines Jahres verbraucht werden mußte. Da es nie genug zur Vollendung der Orgel war und da die benötigten Materialien innerhalb der angegebenen Zeitspanne nicht erworben werden konnten, konnte einen Auftrag nie vergeben werden.

In der Zwischenzeit konnte die Domgemeinde eine eher mittelmässige und völlig unterdimensionierte Orgel der Firma Schuster aus Zittau im Dom aufstellen und benutzen. Diese Orgel wurde ursprünglich für die Heilig-Geist-Kirche erbaut, die erste der fünf innerstädtischen gotischen Pfarrkirchen in Magdeburg, die nach dem Krieg wieder aufgebaut werden konnte. Dieses Gotteshaus wurde aber, gleichwie den Ruinen der Katharinen-, Ulrichs- und Jakobskirchen, auf Anordnung der Ulbrich-Regime, in den 50er Jahren gesprengt. Die Orgel befindet sich nun, ohne Prospekt, 16’ Pedal Offenbass und die großen Oktaven von den 8’ und 4’ Prinzipalen des Hauptwerkes, in der Nikolaikirche in der Neuen Neustadt. Dort wird sie auch bald einem neuen Instrument weichen.

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